Nicht erst seit der Corona-Krise macht die grassierende Einsamkeit vor allem älteren Menschen zu schaffen. Initiativen können den ersten Schritt gehen, Betroffene müssen aber auch selbst aktiv werden.
Ingrid Korosec
Präsidentin des Österr. Seniorenbundes
Abgeordnete zum Wr. Landtag
Volksanwältin a.D.
„Man kann das Alleinsein schon genießen, wenn es selbst gewählt ist. Aber wenn ich allein sein muss, verfalle ich in Einsamkeit. Corona hat uns alle ein wenig dazu verdonnert, allein zu sein und uns abzusondern“, erklärt die Seniorin Erika Rentenberger gegenüber dem Stadtsender W24. Sie spricht damit ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem an. Immer mehr und vor allem ältere Menschen sind von Einsamkeit betroffen. Das ist nicht nur ein österreichisches, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen: Laut einer Studie der Europäischen Kommission fühlen sich europaweit mehr als 30 Millionen Menschen einsam, 75 Millionen haben nur mehr einmal im Monat Kontakt zu anderen Menschen.
„Einsamkeit war schon immer ein sehr großes Thema und hat verschiedenste Gründe. Verstorbene Partner, Trennungen, oder Umwälzungen in Familie und Freundeskreis sind nur einige Beispiele. Das betrifft besonders ältere Menschen und macht ihnen zu schaffen“, erklärt Ingrid Korosec, Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes und des Österreichischen Seniorenrates. Depression und Stress sind oft die Folgen von Einsamkeit.
Alleinsein ist nicht zwingend Einsamkeit
Auch für Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Dienstes Wien, stellt Einsamkeit eines der großen Probleme unserer Zeit dar. „Aber es ist wichtig, zwischen Einsamkeit und Alleinsein zu unterscheiden. Einsamkeit ist primär ein Gefühl, Alleinsein ein körperlicher Zustand“, erklärt er in einem Interview mit W24. Einsamkeit kann auch in einer Partnerschaft aufkommen, die nicht mehr intakt ist und in der das Miteinander aufgrund körperlicher oder psychischer Erkrankungen beeinträchtigt ist, nennt Psota ein Beispiel.
Auch andere Faktoren wie Wohnstrukturen verschlimmern Einsamkeit. Beispielsweise ist beinahe jede zweite Wiener Wohnung ein Single-Haushalt. „Das betrifft vor allem Frauen, da sie länger leben und im Fall des Falles auch länger allein sind“, meint Korosec. Städte seien trotz reichhaltiger sozialer Angebote wie Tageszentren oft anonymer als der ländliche Raum, am Land sei jedoch die Nachbarschaftshilfe stärker ausgeprägt, fügt sie hinzu.
Generationenunterschiede bei Werten
Die Psychologin Silvia Hintersteiner gibt zu bedenken, dass sich ältere Menschen oft auch mit ihren Werthaltungen an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Werte wie Bodenständigkeit und ein starker Familiensinn stünden mitunter im Widerspruch zur wachsenden Individualisierung und Schnelllebigkeit der Gesellschaft, meint sie.
Um der Einsamkeit entgegenzuwirken, wurden zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen, beispielsweise das Projekt „Brieffreund“ oder das „Plaudernetz“ der Caritas, wo einander unbekannte Menschen über Briefeschreiben, beziehungsweise Telefonieren, miteinander in Kontakt treten können. Der telefonische Kontakt mit ihren Mitgliedern ist auch für die Funktionärinnen und Funktionäre des Seniorenbundes sehr wichtig. Während der Corona-Krise haben sie beispielsweise bundesweit täglich rund 20.000 Telefonate geführt.
Aktiv auf einsame Menschen zugehen
Ingrid Korosec hat selbst oft zum Hörer gegriffen. „Ich kann aus erster Hand sagen, dass Einsamkeit vielen Menschen Probleme bereitet. Aber schon einfache Maßnahmen wie ein Anruf helfen. Das haben wir selbst erlebt, jedes einzelne Telefonat war positiv, alle haben sich gefreut, angerufen worden zu sein“, erzählt sie.
Trotzdem ließen sich viele Menschen auf herkömmlichem Wege nicht erreichen. Vor allem depressive Menschen greifen kaum auf soziale Angebote zurück. „Passivität ist bei Depressionen sehr oft der Fall und wird als sehr belastend empfunden“, bestätigt auch Georg Psota. Man müsse direkt auf diese Menschen zugehen, betont Korosec. „Einsamkeit ist kein Schicksal, man kann ihr entkommen. Dafür muss man aber etwas tun“, betont Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec.
„Jeder Mensch will aktiv sein und gebraucht werden. Für uns ältere Menschen gibt es vielfältige Möglichkeiten, beispielsweise die Freiwilligenarbeit. Hier betätigen sich auch viele Seniorinnen und Senioren stark. Dazu muss man sie aber meist erst ansprechen.“ Nach diesem ersten Schritt müssten aber weitere vonseiten der einsamen Menschen folgen. „Die Hand ist ausgestreckt. Mein Appell daher ist: Wenn Sie einsam sind, ergreifen Sie bitte diese Hand und nehmen Sie Angebote und Hilfe an“, betont Korosec.