Gastkommentare von Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec zum Nachlesen.
Mai 2024
Brauchen wir wirklich ein Recht auf ein analoges Leben?
Eine Garantie, wie sie die SPÖ jetzt fordert, ist rückschrittlich. Nur eine analoge Übergangszeit ist sinnvoll. Denn die Digitalisierung lässt sich auch für die ältere Generation nicht aufhalten.
Erschienen am 22. Mai 2024 im Der Standard
Vorbilder nicht nur auf TikTok
Dänemark macht in Sachen Pflege vieles besser – seit Jahren
Erschienen am 13. Mai 2024 im Kurier
März 2024
Anreize für längeres Arbeiten
Lieber das faktische an das gesetzliche Pensionsalter anpassen
Erschienen am 13. März 2024 im Kurier
Februar 2024
Reden wir über "Wahlfamilien"!
Erschienen am 28. Februar 2024 im Der Standard
Jänner 2024
Lasst die Alten weiterarbeiten!
Erschienen am 23. Jänner 2024 in der Die Presse
Lieber alt werden in Dänemark als in Österreich
Erschienen am 27. April 2023 in der "Presse": https://www.diepresse.com/6280694/lieber-alt-werden-in-daenemark-als-in-oesterreich
Warum Dänemarks Pflegesystem so viel besser und günstiger als unseres ist.
eg klarer mig godt, tak. – Den Satz „Ich komme gut zurecht, danke“ bekommt man in Dänemark von älteren Menschen mit Sicherheit öfter zu hören als in Österreich; und zwar auch von Hochbetagten oder sehr Betreuungsbedürftigen.
Dänen haben tatsächlich mehr Grund zur Zufriedenheit, was Pflege und Betreuung betrifft. Die Versorgung älterer Menschen funktioniert dort nämlich überall und zu geringen Kosten für die Betroffenen. Das sind schon einmal wesentliche Unterschiede zu Österreich, wo der Grad an und die Kosten für Pflegeleistungen vom Wohnort abhängen.
Ein weiterer: Dänen können weit öfter zu Hause leben als Betreuungsbedürftige bei uns. Ins Heim übersiedelt nur, wer hohem medizinischem Pflegebedarf hat. Daher leben nur vier Prozent in Heimen, bei uns sind es zwölf Prozent. Und die, die zu Hause leben, sind gut versorgt, ohne dass Angehörige in die Pflicht genommen werden.
Interessant ist der Kostenvergleich: Gesundheits- und Pflegeausgaben machten in Österreich im Jahr 2021 insgesamt 14,2%, in Dänemark 10,8% des BIPs aus – also besser und billiger. Dänemark schaffte in den 1980er-Jahren, als das Pflegesystem fast zusammenbrach, eine Kehrtwende. Die Politik organisierte das System völlig neu. Das Gesundheitsministerium gibt die Rahmenbedingungen verpflichtend vor. Verantwortlich für das Angebot sind die 98 Kommunen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, alles zu tun, damit die Menschen möglichst lang selbstständig bleiben. Entsprechend viel Geld fließt in Prävention, Rehabilitation und Alltagsunterstützung. Diese Investitionen wirken sich direkt auf die Pflegebedürftigkeit aus: In Dänemark sind acht Prozent der über 65-Jährigen betreuungsbedürftig, in Österreich 22 Prozent.
Das gesamte System beruht auf dem Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe statt Unterstützung in der Unselbstständigkeit und unterscheidet sich damit fundamental von der österreichischen Praxis, Defizite zu verwalten. Aufgaben wie Medikamente einsortieren, sich anziehen, einkaufen, aufräumen oder kochen werden gemeinsam mit den Betroffenen – statt wie in Österreich für die Betroffenen – erledigt.
Sach- statt Geldleistungen
Die Dänen erhalten überwiegend Sach-, nicht Geldleistungen. Dänemark kennt keine Pflegestufen. Die Kommunen beurteilen den Betreuungsbedarf entsprechend der zentralstaatlichen Vorgaben. Häusliche Hilfe kann dauerhaft unentgeltlich bezogen werden. Nur bei speziellen Diensten, wie Schneeräumen oder Gartenarbeiten, fällt ein Selbstbehalt an. Fast alle Kommunen bieten Tageszentren, Aktivitätsprogramme für alle Altersgruppen, aber auch pflegerische Maßnahmen zur Unterstützung der häuslichen Versorgung.
Hilfe wird bereits sehr früh, noch ehe sich die Betreuungsbedürftigkeit manifestiert, geleistet. Bei frühen Unterstützungsleistungen wie Heimhilfe oder Essen auf Rädern liegt das Land im OECD-Vergleich stets im Spitzenfeld. In Dänemark werden mit 14,6% deutlich öfter Heimhilfen in Anspruch genommen als in Österreich. Dazu kommt eine hohe Bereitschaft, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Telemedizin und Telecare sind Standard, Medikamenten-Roboter ebenso. Das alles mit dem Ziel, die Lebensqualität zu steigern.
Ich sehe in dem dänischen System seit Langem einen Weg aus dem österreichischen Betreuungschaos: Finanzierung aus einer Hand, das Prinzip des One-Stop-Shop, Hilfe zur Selbsthilfe, hohe Professionalität und das Bekenntnis zur Digitalisierung sind die Voraussetzungen. Dafür braucht es politischen Mut, aber es funktioniert.
Ingrid Korosec (* 1940) ist Präsidentin des Österreichischen Seniorenbunds. Sie war Volksanwältin und zehn Jahre Abgeordnete zum Nationalrat der ÖVP.
https://www.derstandard.at/story/2000145293539/auf-in-den-unruhestand-aber-zu-fairen-konditionen
Auf in den Unruhestand - aber zu fairen Konditionen!
Erschienen am 7. April 2023 im Standard: https://www.derstandard.at/story/2000145293539/auf-in-den-unruhestand-aber-zu-fairen-konditionen
Seniorinnen und Senioren länger im Arbeitsprozess zu halten ist eine Chance – Verdrängungsängste sind unbegründet
Die Bundesregierung hat erkannt, dass Pensionistinnen und Pensionisten ein wertvoller Expertenpool im "Ruhemodus" sind. In einer Arbeitsgruppe zum Thema Arbeitsmarktreform – in der ich als Präsidentin des Seniorenrates auch vertreten bin – sollen Möglichkeiten erarbeitet werden, wie man einerseits pensionsberechtigte Seniorinnen und Senioren länger im Arbeitsprozess halten und wie man sie andererseits dazu motivieren kann, aus dem Ruhestand in den "Unruhestand" zu wechseln.
Wobei – an der Motivation liegt es nicht. Derzeit sind knapp 90.000 Menschen im "Unruhestand", arbeiten also in der Pension weiter – Tendenz stark steigend. Und das, obwohl die Rahmenbedingungen nicht wirklich attraktiv sind. Das muss sich dringend ändern! Wichtig ist mir dabei festzuhalten: Mir geht es freilich nicht darum, dass Seniorinnen und Senioren in Zukunft länger arbeiten sollen, sondern darum, dass diejenigen, die wollen, das auch zu fairen Konditionen können.
Drei Stellhebel
Ich sehe drei große Stellhebel am Arbeitsmarkt, die gleichzeitig zu betätigen und vor allem gleichwertig zu behandeln sind, weil sie ineinandergreifen:
Erstens müssen wir es Menschen ermöglichen, gesund bis zum gesetzlichen Pensionsantritt arbeiten zu können. Dafür brauchen wir alternsgerechte Arbeitsplätze, mehr Gesundheitsprävention und ein Aufeinanderzugehen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Mehr Wertschätzung auf der einen, aber auch mehr Bereitschaft für Umschulungen auf der anderen Seite und mehr Flexibilität auf beiden Seiten.
Zweitens muss es attraktiver werden, über den gesetzlichen Pensionsantritt hinaus zu arbeiten. Im aktuellen Bonus-Malus-System entscheiden sich die Menschen eher für die Frühpension als fürs Weiterarbeiten. Zu- und Abschläge anzugleichen und anzuheben kann hier ein Anreiz sein.
Drittens muss sich Arbeit in der Pension stärker lohnen. Wer heute in der Pension arbeitet, dem bleibt netto weniger als die Hälfte übrig. Hier braucht es spürbare Verbesserungen, etwa die Abschaffung der Pensionsbeiträge für Arbeit in der Pension, Absetz- oder Steuerfreibeträge. Denn eines ist klar: Niemand arbeitet in der Pension und zahlt mehrere Hundert Euro an Abgaben mit dem Ziel, das Pensionskonto um ein paar Euro zu erhöhen.
Das Thema "Arbeit in der Pension" ist übrigens das beste Beispiel dafür, was im aktuellen Diskurs falsch läuft. Anstatt das Fachwissen pensionierter Arbeitskräfte als eine Quelle gegen den Fachkräftemangel zu sehen, werden Arbeitslose gegen Pensionistinnen und Pensionisten ausgespielt. Anstatt die Chance zu sehen, den Wissenstransfer zwischen den Generationen zu fördern, werden unbegründete Verdrängungsängste geschürt.
Neue Realität
So werden wir mit den aktuellen Herausforderungen nicht fertig werden. Hinzu kommt, dass Frauen ab 60 den Arbeitsmarkt "aufmischen" werden. Und das ist gut so! Die Anhebung des gesetzlichen Frauenpensionsalters auf 65 Jahre in den kommenden zehn Jahren ist ein Schritt hin zu gleichen Karrierechancen. Bisher galten Frauen am Arbeitsmarkt früher als "alt" und wurden ab Mitte 50 bei gleicher Qualifikation eher zur PVA als in Vorstandsetagen geschickt.
Der Arbeitsmarkt – und damit auch die Reformgruppe – müssen diese neue Realität berücksichtigen und Vollzeit besonders für Frauen attraktiver machen, insbesondere durch den Ausbau von Kinderbetreuung und Pflege. Sonst bleibt Teilzeit für viele Frauen weiterhin Lebensmodell statt Übergangslösung und die Formel "Halbe Arbeit = halbe Pension = drohende Altersarmut" verschiebt sich einfach nur um fünf Jahre nach hinten. (Ingrid Korosec, 7.4.2023)
Ingrid Korosec ist seit 2016 Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes. Zuvor war sie langjährige Volksanwältin sowie ÖVP-Generalsekretärin und Nationalrätin für die ÖVP.
Gemeinsam statt närrisch
Erschienen am 24. Dezember 2022 im Kurier: https://kurier.at/meinung/gastkommentar/gemeinsam-statt-naerrisch/402270150
In der Krise sollten wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.
Wollen wir als Narren untergehen? Wenn nicht, dann müssen wir nach Martin Luther King als Brüder [und Schwestern] miteinander leben. Der Bürgerrechtler King wusste nur zu gut, wie gefährlich eine zutiefst zerrissen Gesellschaft ist. Wir leben in schweren und schwierigen Zeiten.
Nach Jahren des Wohlstandes und des Friedens, änderte sich unsere Welt innerhalb kurzer Zeit. Krieg, Teuerung, Klimawandel stellen ungekannte Herausforderungen dar. Politisch aber auch als Gemeinwesen müssen wir uns jetzt beweisen.
Panik als Reaktion ist sinnlos, Panikmache aus Kalkül zutiefst verwerflich. Die ganze Gesellschaft spürt den Druck, nicht immer in allen Bereichen gleich, aber dennoch. Bei Älteren kommen Erinnerungen an die Nachkriegszeit, an die Energiekrise der 1970er-Jahre, an den Kalten Krieg hoch. Jüngere fragen, wie Krieg, Klima und Wirtschaftskrise sich auf ihre Zukunft auswirken.
Die einen fürchten zu verarmen, die anderen, Wohlstand zu verlieren. Die einen fürchten Veränderung, die anderen fordern sie vehement und teilweise aggressiv ein. Diese Partikularinteressen haben Potenzial, die Gesellschaft auseinanderzudividieren. Dann nämlich, wenn wir die Sorgen der anderen nicht ernstnehmen, nicht Verantwortung füreinander und die eigenen Handlungen übernehmen.
Ja, die ältere Generation ist für den Klimawandel mitverantwortlich. Sparsamkeit im Umgang mit Ressourcen war vor 50 Jahren im öffentlichen Bewusstsein noch nicht wirklich verankert. Ja, die Jungen profitierten lange von dem Wohlstand, der ab den 1960ern geschaffen wurde und den sie jetzt scharf kritisieren. Dennoch gilt: Als Gesellschaft überleben wir nur gemeinsam. Einander ausspielen mag kurzfristig Vorteile bringen, à la longue gibt es nur Verlierer.
Vielleicht sollten wir uns gerade jetzt in der Krise an den Kamelen ein Beispiel nehmen. Diese zu Unrecht als dumm angesehenen Tiere leben in ihrem Sozialverhalten vor, wie schwierige Situationen bewältigbar sind: Sie kennen innerhalb der Herde keine Hierarchien, alle sind gleichwertig, niemand wird ausgegrenzt, herabgewürdigt oder bekämpft. Ältere Tiere bugsieren die Jüngeren durch Gefahrensituationen.
In Mangelzeiten wird nicht gerauft – das kostet zu viel Energie – sondern mit den vorhandenen Ressourcen sparsam gewirtschaftet. Nur so überleben Einzeltier und Herde. Und das funktioniert, obwohl die Tiere als ausgesprochen eigenwillige Individualisten gelten. Vor die Wahl gestellt, ziehe ich vor, solidarisch wie ein Kamel zu überleben statt als Närrin unterzugehen.
Nachtrag: Das vollständige Zitat von Martin Luther King lautet: „Wir müssen lernen, entweder als Brüder miteinander zu leben oder als Narren unterzugehen.“ Mein Wissen über Kamele bezog ich aus dem Buch „111 Dinge, die man über Kamele wissen muss“.
Ingrid Korosec ist Präsidentin des Österreichischen Seniorenrates.
Arbeiten in Pension attraktiver machen
Erschienen am 15. Dezember 2022 in der Presse: https://www.diepresse.com/6227476/arbeiten-in-pension-attraktiver-machen
„Wir brauchen jede einzelne Kraft am Arbeitsmarkt“, erklärte Sozialminister Johannes Rauch jüngst im ORF-Talk „Im Zentrum“. Da stimme ich ihm voll und ganz zu. Besonders punkto Verbesserungen für Arbeitskräfte 50 plus und besserer Gestaltung des Übergangs in die Pension rennt er bei mir offene Türen ein.
Für Steuererleichterungen als Anreiz für Arbeiten in der Pension hatte er jedoch nur ein knappes „Wir brauchen die Beiträge“ übrig. Dabei ist dieses Thema höchst diskussionswürdig, nicht nur aus meiner Position als Seniorenvertreterin. Es gibt viele gute Gründe, den Pensionsbeitrag für arbeitende PensionistInnen abzuschaffen.
Eines vorweg: An der Einkommenssteuer oder der Kranken- und Unfallversicherung für Arbeit in der Pension will ich nicht rütteln. Sie finanzieren Staat, solidarisches Gesundheitssystem, Pflegesystem und Vieles mehr, sind wichtig und berechtigt.
Anders verhält es sich mit den Pensionsbeiträgen für Arbeit in der Pension, welche mit bis zu 22,8 Prozent finanziell spürbar zu Buche schlagen. Von 1000 Euro Zuverdienst bleiben nach Steuern rund 400 Euro übrig. Das macht Arbeiten in der Pension zum teuren Hobby. Im Gegensatz dazu erhöhen die Pensionsbeiträge die Eigenpension um lediglich ein Prozent des Zuverdiensts pro Monat. Für die Betroffenen ein schlechtes Geschäft. Eine spürbare Pensionserhöhung wird so erst nach 15 Jahren Zuverdienst erreicht. Das führt den Sinn dieser Beiträge ad absurdum. In der Pension werden auch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt.
Kaum jemand will eine jahrelange Vollzeitbeschäftigung in der Alterspension. Vom ehemaligen Abteilungsleiter, der in Teilzeit seine Nachfolge unterstützt bis zur Pflegerin, die aus Personalmangel fünf Tage im Monat weiterarbeitet: Flexibilität ist der Schlüssel sowohl für die Umbrüche in der Arbeitswelt als auch Arbeit in Pension.
2021 waren 88.000 PensionistInnen erwerbstätig, sei es aus Freude an der Beschäftigung oder aus finanzieller Notwendigkeit – Tendenz stark steigend. Für Unternehmen, die mehr denn je unter Fachkräftemangel leiden – laut WKO sind 272.000 Stellen unbesetzt – können pensionierte Fachkräfte als ExpertInnenpool eine wichtige Stütze sein. Das schließt auch mögliche Verdrängungseffekte aus: Eine pensionierte Fachkraft kann keine Stelle blockieren, für die Jüngere nicht qualifiziert sind. Im Gegenteil: Die Älteren können ihr Wissen an die Jugend weitergeben, was auch Sozialminister Rauch fördern will. Folglich sollte jede Erleichterung in diesem Bereich in seinem Sinne sein.
Das macht die Abschaffung der Pensionsbeiträge für arbeitende PensionistInnen zur Win-Win-Win-Situation: PensionistInnen bleibt mehr vom Zuverdienst, die Wirtschaft erhält Fachkräfte und dem Staat kommen zusätzliche Steuereinnahmen zu, die den Wegfall der Pensionsbeiträge mehr als ausgleichen. Ich mache mich für diese Reform schon länger stark und habe von Finanzminister Magnus Brunner, Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher und WKO-Präsident Harald Mahrer abwärts viele wichtige Stimmen aus Politik und Wirtschaft auf meiner Seite.
Damit sich Arbeit in der Pension lohnt, könnte bei den Pensionsbeiträgen für diese Gruppe eine Opt-Out-Möglichkeit die Lösung sein. Etwa bei langer Weiterbeschäftigung in der Pension könnten sie weiter bezahlt werden. Wer die Beiträge ablehnt, zahlt dadurch etwas mehr Einkommenssteuer, hat aber insgesamt mehr vom Zuverdienst.
Es ist allen Beteiligten klar, dass wir am Arbeitsmarkt 50 plus neue Wege einschlagen müssen. Dabei darf es keine Denkverbote geben.
Ingrid Korosec (* 1940) ist Präsidentin des Österreichischen Seniorenbunds. Sie war Volksanwältin und zehn Jahre Abgeordnete zum Nationalrat der ÖVP.
Der Elefant im Raum*: Wieso wir auf die Alten nicht verzichten können.
Erschienen am 15. Oktober 2022 im Kurier.
*So bezeichnete Martina Salomon im Leitartikel vom 8. Oktober das Alter bzw. die Gruppe der über 60-Jährigen.
Und dieser Elefant wird immer größer. Nimmt er aktuell 20% der Fläche ein, werden es 2030 bereits über 23%. Ihn zu ignorieren wird immer schwieriger, für die Gesellschaft in toto und für die Wirtschaft im speziellen.
Den Unternehmen gehen die Fachkräfte aus. Der demographische Wandel stellt mittlerweile ein wachsendes Problem dar. Nicht weil die Alten so viel kosten, wie gern und unrichtig kommuniziert wird, sondern wegen des Braindrains. Die Alten gehen, mit ihnen Wissen und Erfahrung. Den nachrückenden Jungen, sofern überhaupt vorhanden, fehlt – wenig überraschend – noch die Expertise, was die Unternehmen unter Druck bringt. Nicht umsonst bietet die WKO mittlerweile einen Demographiecheck für Unternehmen. Damit rechtzeitig gegengesteuert werden kann. Die Frage lautet wie?
Durch Arbeitskräfte aus dem Ausland. Hier steht Österreich in direkter Konkurrenz mit fast allen anderen europäischen Staaten.
Oder durch die Alten. Sie zumindest Teilzeit im Arbeitsleben zu halten, ist das Gebot der Stunde. Schlecht sieht es damit sicher in Branchen mit schwerer körperlicher Arbeit aus. Obwohl sich auch hier durch arbeitsmedizinische Begleitung während des Arbeitslebens einiges erreichen lässt. Produktivität und Wachstum basieren in Österreich jedoch bereits jetzt überwiegend auf geistiger, immaterieller Wertschöpfung. Hier treibt nicht der körperliche Verschleiß die Menschen in den Rückzug aus dem Beruf. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Das beginnt bei den sinnlosen Pensionsbeiträgen, die auch berufstätige PensionistInnen einzahlen müssen. Das Weiterarbeiten lohnt sich finanziell damit kaum. Zudem passen die überwiegend praktizierten Arbeitsmodelle und die Lebenswelt der älteren Menschen nicht zusammen. Ihnen liegen Vorstellungen von nine-to-five Jobs und veralteter Erwerbsbiografien der ehemaligen Industriegesellschaft zu Grunde. Die jüngeren Generationen konfrontieren ArbeitgeberInnen bereits mit ihren veränderten Konzepten von Arbeit – Teilzeit, Flexibilität, Bürogestaltung, Lebensqualität.
Um die Älteren „zu halten“ braucht es eine alter(n)sgerechte Arbeitswelt. Die Forderungen ähneln jenen der Jungen, die konkrete Ausgestaltung muss dann altersentsprechend erfolgen.
Um Missverständnisse zu vermeiden: ich spreche hier nicht von einer Zwangsverpflichtung im Beruf zu bleiben – also von der Anhebung des Pensionsalters. Doch wer Freude an der Arbeit hat oder den Zuverdienst brauchen kann, denen sollten entsprechende Angebote gemacht werden.
Knapp 80.000 Menschen arbeiten aktuell in der Pension weiter. 40% der 1,75 Mio SeniorInnen langweilen sich. Diese 700.000 potentiellen Arbeitskräfte zu mobilisieren scheint das Gebot der Stunde.
Altersarmut bei Frauen: „Selber schuld“ greift zu kurz
Erschienen am 8. August 2022 in der Presse. https://www.diepresse.com/6175644/altersarmut-bei-frauen-bdquoselber-schuldldquo-greift-zu-kurz
Rosemarie Schwaiger verfasste für quergeschrieben am 8. August ein flammendes Plädoyer, dass der Sozialstaat seinen Verpflichtungen nachkommt. Dass sie seine Leistungen der letzten Monate und Wochen anerkennt, freut mich sehr. Und trotzdem muss ich ihr widersprechen.
Sie nahm nämlich den Equal Pension Day am 3. August als Anlass dafür und meinte, gerade bei den Pensionen unternähme der Sozialstaat viel zu viel.
In einigen Punkten ihrer Argumentation hat sie durchaus Recht. Das aktuelle Problem zu niedriger Frauenpensionen wurzelt in der gesellschaftlichen Struktur der 1950-70er Jahre und der damit verbundenen niedrigen Frauenerwerbsquote. Die meisten Frauen hätten auch einfach zu wenige Versicherungszeiten. Stimmt alles, löst aber nicht das Problem, dass aktuell einer ganzen Generation Frauen Altersarmut droht. „Selber schuld“ greift zu kurz und bezahlt keine Rechnungen. Soll der Sozialstaat hier wirklich ein Exempel statuieren und nicht eingreifen? Außerdem weiß jeder Ökonom, dass die Verarmung größerer Teile der Bevölkerung enorme Folgekosten im Sozial- und Gesundheitsbereich nach sich zieht.
Bei der Diskussion sollte man auch nicht außer Acht lassen, dass gerade Frauen über 60 besonders häufig in sogenannten traditionellen Frauenberufen arbeiteten, die ebenso traditionell schlecht bezahlt waren. Betreuung von älteren Verwandten und Kindern galt ja überhaupt als unbezahltes Ehrenamt.
Es erscheint mir zu billig, die Verantwortung dafür den Frauen aufzubürden. Um Altersarmut kurz- und mittelfristig entgegen zu wirken, bedarf es einer wirksamen Sozialpolitik.
Anders sieht es für die Zukunft aus. Hier kann dem Pensionsgap gegengesteuert werden ohne den Sozialstaat zu beanspruchen. Da bin ich wieder ganz bei Rosemarie Schwaiger. Pensionssplitting allein wird Altersarmut bei Frauen nicht verhindern. Raus aus der Teilzeit und dem Niedriglohnsektor muss die Devise heißen. Was sie damit riskieren, ist jungen Frauen noch immer viel zu wenig bewusst. Bereits zweijährige Arbeit in Teilzeit verringert die Pension um ca. 2,1%. Trotzdem stieg die die Teilzeitquote in den letzten 25 Jahren bei Frauen von 26% auf 48%. Es handelt sich um den dritthöchsten Wert in der EU. In der Slowakei und in Estland, wo sowohl als Einkommens- als auch der Pensions-Gender Pay Gap am geringsten ist, liegt die Teilzeitquote hingegen nur bei 8 bzw. 13%. Folgendes Rechenbeispiel führt die Folgen der Teilzeit deutlich vor Augen: Arbeitsphase 45 Jahre, minus 10 Jahre Erwerbslücke durch Kinderbetreuung oder Pflege, minus 25 Jahre Niedriglohn/Teilzeit = Reduktion des Lebenseinkommens um 56%. Das muss bei den Frauen endlich ankommen.
Damit ist es aber nicht getan. Frauen, die Vollzeit arbeiten, brauchen für ihre Kinder qualitativ hochwertige Kindergartenplätze und ausgezeichnete Nachmittagsbetreuung und müssen bei der Betreuungsarbeit der älteren Familienmitglieder entlastet werden. Hier sind Länder und Gemeinden gefragt ein flächendeckendes und leistbares Angebot an Kindergärten, Nachmittagsbetreuung aber auch an mobilen Pflegediensten zu stellen. Sie brauchen ein entsprechendes Arbeitsumfeld. Hier sind die Unternehmen am Zug. Arbeitszeiten, die sich mit den Bedürfnissen der Kinder vereinbaren lassen, Homeoffice oder Kinderbetreuung (auch für Größere) in den Betrieben. Und schließlich noch: adäquate Bezahlung in den klassischen Frauenberufen – Corona lehrte uns, dass genau diese Arbeit unser System in vielen Bereichen am Laufen hält und daher ihren monetären Wert haben muss.
Und dann, Frau Schwaiger, schaffen wir bitte den Equal Pension Day ab.
Alt ist nicht immer gleich krank
Erschienen am 24. Juni 2022 in der Presse. https://www.diepresse.com/6156613/alt-ist-nicht-immer-gleich-krank
Pflegereform. Wir sollten die historische Chance für einen Paradigmenwechsel nutzen. Dänemark ist uns Vorbild und Warnung.
Nach mehr als 15 Jahren und acht SozialministerInnen ist mit dem kürzlich präsentierten ersten Teil der Pflegereform endlich Bewegung in den Reformprozess gekommen. Die ersten Gesetzesentwürfe dazu wurden bereits in Begutachtung geschickt und trotz allfälliger Kritik wird deutlich, dass es der Regierung ernst ist.
Das ist zu begrüßen, der neu gefundene Reformeifer darf aber nicht dazu führen, dass wir die historische Chance verpassen, in Österreich auf mehreren Ebenen einen Paradigmenwechsel in der Pflege einzuschlagen.
Dazu müssen wir uns von der Fehlannahme verabschieden, dass „alt“ automatisch auch „krank“ bedeutet. Der Anspruch der Seniorinnen und Senioren ist, ihre zwanzig gewonnenen Jahre gesund und selbstständig zu erleben. Der Schlüssel für erfolgreiches Altern ist gezielte Vorsorge, anstatt die Menschen wie bisher ins Bett zu pflegen.
Die Situation im Dänemark der 1980er Jahre hat gezeigt, wo uns der bisherige Weg hinführen kann: Acht von zehn betreuungsbedürftigen Menschen lebten in Heimen, es fehlte an Personal und Geld. Nur eine radikale Systemumstellung hat den Kollaps abgewendet. Seitdem wird in Dänemark „mit der Hand in der Hosentasche“ gepflegt. Die Selbstständigkeit der Menschen wird durch bedarfsorientierte und vor allem rechtzeitige Unterstützung so lange wie möglich erhalten, Sachleistungen dominieren vor Geldleistungen.
Die Rechnung ging auf: Nicht nur sind rechtzeitige Therapieangebote, Putzhilfe, Fahrtendienste oder Freizeitbegleitung günstiger als ein Pflegebett. Auch die Digitalisierung bietet Potenzial für Unterstützung: Ein sich selbst ausschaltender Herd oder Lampen mit Bewegungssensoren können älteren Menschen den Alltag erleichtern.
Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ hat in Dänemark einen Wandel bei der Gesundheit der älteren Generation ausgelöst. Heute sind nur noch acht Prozent der Über-65-Jährigen stark pflegebedürftig. Zum Vergleich: In Österreich beträgt dieser Anteil immer noch 22 Prozent – und das, obwohl (kaufkraftbereinigt) in beiden Ländern mit etwa 4000 Euro pro Kopf gleich viel für Gesundheit und Pflege ausgegeben wird. Das „dänische Modell“ dient uns also als Vorbild und Warnung zugleich.
Wir müssen nicht nur ändern, wie wir Pflege gestalten, sondern auch, wie wir darüber sprechen. Schlagzeilen wie „Was kosten uns die Alten?“ oder „Die Pflege wird unfinanzierbar“, zeigen, dass der politische Diskurs und die mediale Berichterstattung von einseitigen Betrachtungen geprägt sind, die dringend geändert werden müssen.
Wer die angeblich unfinanzierbaren Kosten der Pflege bemängelt, sollte nicht verschweigen, dass sich jeder in die Pflege investierte Euro 1,7-fach rentiert. Und wer davor warnt, dass bis 2030 100.000 Pflegekräfte fehlen und der Pflegeberuf – berechtigterweise – aufgewertet werden muss, sollte auch ins Feld führen, dass sich daraus großes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt für Ein- und Umsteiger aus verschiedenen Sozialberufen ergibt.
Begreifen wir Pflege als einen zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor und ein Thema, das alle Generationen betrifft. Die einseitige Betrachtung als finanzielle Bürde, welche „die Alten“ der Gesellschaft aufhalsen, widerspricht nicht nur den Fakten, sondern ist auch – bewusste oder unbewusste – Altersdiskriminierung. Das Perfide daran: Diese Art der Diskriminierung trifft uns alle früher oder später. Denn auch jene, die jetzt Stimmung gegen die Seniorinnen und Senioren machen, werden – hoffentlich – einmal zu „den Alten“ gehören und wollen gut versorgt und unterstützt werden.
Nicht nur die Nullzinsen belasten ältere Menschen
Erschienen am 19. März 2022 in der Presse. https://www.diepresse.com/6113840/nicht-nur-die-nullzinsen-belasten-aeltere-menschen
Während die amerikanische FED die Zinswende einleitet, um der grassierenden Inflation Herr zu werden, hält die Europäische Zentralbank weiterhin an ihrer Nullzinspolitik fest. Das ist im Angesicht von Krieg und Pandemie nachvollziehbar, für ältere Menschen aus finanzieller Sicht jedoch alles andere als unbedeutend.
Die aktuelle Situation belastet Seniorinnen und Senioren dreifach. Erstens können sie aufgrund der anhaltend niedrigen Zinsen dabei zusehen, wie ihre Geldreserven auf dem Sparbuch täglich schrumpfen. Spareinlagen haben in den vergangenen zehn Jahren durch Teuerung und Zinssenkungen rund 20 Prozent an Kaufkraft verloren – Tendenz gemeinsam mit der Inflation steigend.
Zweitens setzt die steigende Teuerung älteren Menschen stärker als anderen Bevölkerungsgruppen zu. Besonders Menschen mit niedrigen Pensionen brauchen den Großteil ihres Einkommens für Heizen, Grundnahrungsmittel und Wohnen auf – gerade dort steigen die Preise am stärksten.
Drittens werden ältere Menschen systematisch bei Bankgeschäften diskriminiert – und das nicht erst seit Finanzkrise und Pandemie. Trotz vorhandener Sicherheiten vergeben viele Institute ab einem bestimmten Alter keine Kredite mehr oder nur zu untragbaren Konditionen. Dank Nullzinsen günstig Geld leihen und investieren? Nicht für Seniorinnen und Senioren.
Notwendige Investitionen, etwa Reparaturarbeiten oder der Einbau eines Treppenlifts, werden so schier unmöglich. Der Selbstständigkeit im Alter legen Banken auf diese Art schwere Steine in den Weg.
Den Beteuerungen der Institute, es handle sich um Einzelfälle, stehen hunderte Meldungen bei den Antidiskriminierungsstellen gegenüber. Auch mich erreichen zahllose Schilderungen von bei Pensionsantritt nicht mehr verlängerten Kreditkarten und gestrichenen Kontorahmen. Einer 82-Jährigen Seniorin wurde ein Überziehungsrahmen in Höhe von 200 Euro nicht gewährt. Die Begründung, Sie könne ja bald starben. Was die Banken Risikoabwägung nennen, bezeichne ich als das, was es wirklich ist: Altersdiskriminierung!
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine lassen die Aussicht auf ein baldiges Ende der Nullzinsen in weite Ferne rücken. Wo die EZB zu langsam agiert, müssen die Banken einschreiten, die ältere Menschen gern als „hoch geschätzte“ Kundschaft bezeichnen. Kein Wunder, immerhin haben deren Spareinlagen über Jahrzehnte hinweg die Tresore der Banken gut gefüllt. Darum fordere ich die Institute jetzt zum Handeln auf!
Im Klartext bedeutet das: Altersdiskriminierung einen Riegel vorschieben! Wer ausreichende Sicherheiten vorweisen kann, muss auch Kredit, Bankkarte oder Überziehungsrahmen erhalten und zwar unabhängig vom Geburtsdatum. So bekommen ältere Menschen beides: Die Vorteile niedriger Zinsen und Gerechtigkeit. Außerdem muss es im Interesse der Institute liegen, ihre ältere Kundschaft mit ehrlicher und geduldiger Beratung an risikoarme Alternativen zum Sparbuch heranführen. Vorbilder gibt es genug: In den Niederlanden betreiben beispielsweise viele Banken mit eigens ausgebildeten Coaches erfolgreich finanzielle Aufklärungsarbeit bei Seniorinnen und Senioren.
Auf lange Sicht ist auch die Politik gefordert: Neben einem gesetzlichen Diskriminierungsschutz bei Bankgeschäften müssen wir viel mehr Energie in die Finanzbildung junger Menschen stecken. Damit das finanzielle Know-How der Seniorinnen und Senioren von morgen breiter ist als Sparbuch und Bausparvertrag. Das macht die Menschen unabhängiger, flexibler und ihr Erspartes krisensicherer.