Ingrid Korosec
Präsidentin des Österr. Seniorenbundes
Abgeordnete zum Wr. Landtag
Volksanwältin a.D.
Die erschütternden Leserbriefe, die vergangene Woche in der Kronen Zeitung veröffentlicht wurden, sind ein Warnsignal dafür, dass unser Pflegesystem tiefgreifende und nachhaltige Reformen braucht. Die kommende Regierungsbildung muss Pflege zu einer Top-Priorität machen. Und ich bin Sebastian Kurz dankbar, dass die Pflegereform tatsächlich angegangen wird. Schon 2050 wird jeder zehnte Österreicher älter als 80 Jahre sein. Wir als Österreichischer Seniorenbund bringen uns intensiv in den Reformprozess ein. Unsere Kernpunkte einer Pflegereform im Detail:
Mobil vor stationär
Die meisten Menschen wünschen sich, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden gepflegt werden zu können. Das Angebot an mobilen Diensten ist in Österreich aber bei Weitem nicht ausreichend dafür. Auch bei teilstationären Angeboten wie Tageszentren oder alternativen Wohnformen wie betreutem Wohnen oder Wohngemeinschaften herrscht dringend Nachholbedarf. Mobil muss Vorrang vor stationär haben, damit Pflegebedürftige nicht aus Kostengründen ins Heim gehen müssen.
Einheitliche Angebote und Finanzierung aus einer Hand
Derzeit herrschen bei den Angeboten zu Pflege und Betreuung teils gravierende Unterschiede in Angebot und Kosten zwischen den einzelnen Bundesländern, Personalschlüssel und Qualitätsstandards sind nicht transparent. Eine qualitative und würdevolle Pflege sollte aber nicht vom Wohnsitz abhängen. Hier streben wir langfristig eine Harmonisierung des Angebots an, um allen pflegebedürftigen Menschen überall die gleichen hochwertigen Leistungen bieten zu können. Pflege muss in jedem Bundesland gleich leistbar sein!
Stärkere Berücksichtigung von Demenz beim Pflegegeld
Als das Pflegegeld 1993 ausverhandelt wurde, war Demenz noch kein Thema. Mittlerweile sind jedoch immer mehr Menschen von dieser Krankheit betroffen, die den Pflegebedarf stark erhöht. Das muss stärker berücksichtigt werden! Die aktuellen Erschwerniszuschläge sind dafür zu niedrig.
Jugend für die Pflege gewinnen
Es reicht nicht, den Pflegeberuf etwa durch eine nötige Anpassung der Gehälter an den Gesundheitsbereich attraktiver zu machen. Derzeit können Pflegeausbildungen erst ab dem 17. Lebensjahr absolviert werden. Junge Menschen stellen die Weichen für ihre berufliche Zukunft aber schon nach dem Pflichtschulabschluss. Wenn wir hier nicht handeln, verlieren wir viele interessierte Jugendliche an andere Berufsgruppen. Daher erachten wir eine an Lehre angelehnte Ausbildungsmöglichkeit ab dem 15. Lebensjahr als immens wichtig. Ein Beispiel ist das Programm „Junge Pflege“ in Oberösterreich. Jugendliche erhalten eine umfassende Ausbildung im Gesundheits- und Pflegebereich, die Kosten übernimmt das Land zur Gänze. Die ersten Ausbildungsjahre sollen sich der Theorie widmen, keinesfalls sollen junge Menschen sofort ans Bett gestellt werden.
Pflege wird als Lebensrisiko anerkannt
Pflege soll als die fünfte Säule in der Sozialversicherung etabliert werden. Das bedeutet, dass Pflege als großes Grundrisiko des Lebens anerkannt und somit Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter und Unfällen gleichgestellt wird. Das betrifft derzeit rund 461.000 Bezieherinnen und Bezieher von Pflegegeld und die rund 950.000 Menschen, die in der Pflege und Betreuung im Familienkreis tätig sind und sich für ihre Angehörigen aufopfern. So werden ihnen Entlastung und leistbare Betreuung garantiert.
Pflegesicherung: Bekenntnis zur Steuerfinanzierung
Außerdem stellt diese Pflegesicherung ein Bekenntnis zur hauptsächlichen Steuerfinanzierung dar. Pflege und Betreuungsleistungen stehen allen gleichermaßen zur Verfügung – unabhängig von den eingezahlten Beiträgen. Das schafft Sicherheit – im Gegensatz zu jenem Modell, das beispielsweise in Deutschland praktiziert wird. Denn dort ist die „Pflegeversicherung“ eine „Teilkasko-Versicherung“, die nur bestimmte Leistungen abdeckt. Zu pflegende Menschen und ihre Angehörigen müssen dort weiterhin tief in die Tasche greifen. Das lehnen wir nach wie vor ab!
Entlastung pflegender Angehöriger
Mehr als 80 Prozent der betreuungsbedürftigen Menschen in Österreich werden von ihren Angehörigen intensiv und oft unter Vernachlässigung des Berufslebens gepflegt. Das bedeutet neben der enormen Belastung für viele pflegende Angehörige auch das Risiko der Altersarmut. Dazu kommt, dass der Großteil der pflegenden Angehörigen derzeit bereits über 60 Jahre alt ist. Auch sie werden in naher Zukunft Pflege brauchen. Die öffentliche Hand darf sich daher nicht auf sie als Pflegekräfte verlassen. Jeder Schritt einer Pflegereform muss daher im Endeffekt auch die pflegenden Angehörigen entlasten.