Ingrid Korosec
Präsidentin des Österr. Seniorenbundes
Abgeordnete zum Wr. Landtag
Volksanwältin a.D.
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Beihilfe zum Suizid künftig erlaubt werden muss. Auch wenn die aktive Sterbehilfe und die Verleitung zum Suizid weiterhin strafbar bleiben, hat der Verfassungsgerichtshof mit dieser Entscheidung den Grundsatz infrage gestellt, dass das Recht auf Leben das höchste und schützenswerteste Gut ist. Damit wurde die Büchse der Pandora geöffnet.
Besonders der Schutz der Älteren und der Schutz des Rechtes auf Leben sind zentrale Grundwerte, die sich auch in unserer Politik widerspiegeln müssen. Das hatte der Verfassungsgerichtshof auch in einem früheren Urteil bestätigt: Das Verbot der aktiven Sterbehilfe liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Mit dem jetzigen Spruch verlässt der Verfassungsgerichtshof seine eigene Linie.
Das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord sowie des Tötens auf Verlangen war stets ein wirksamer Schutz für die Schwächsten der Gesellschaft, insbesondere für sehr alte, kranke, an Demenz leidende Menschen oder für Menschen mit Behinderung. Dieser Schutz wurde irreparabel beschädigt.
Der Druck auf ältere Menschen wird steigen
Ich habe meine Vorbehalte gegen eine liberalisierte Sterbehilfe in den vergangenen Monaten mit Nachdruck vertreten, etwa im Kurier oder zuletzt auch im Ö1 Journal. Meine größte Befürchtung: Der Druck auf ältere oder schwerkranke Menschen wird unweigerlich steigen. Etwa, weil sie Angst haben könnten, der Gesellschaft zur Last zu fallen, zu teuer, oder unnütz zu sein oder eine Wohnung für ihre Kinder zu blockieren. Mit seinem Urteil hebt der Verfassungsgerichtshof die Selbstbestimmung über alle anderen Grundrechte. Aber in diesen Fällen kann man keinesfalls von Selbstbestimmung sprechen.
Wo bleibt hier der freie Wille? Er bleibt auf der Strecke. Anstatt dass es als eine Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, dass diese Menschen auch trotz Krankheit oder Behinderung weiterleben wollen, werden sie sich auf einmal für diese Entscheidung rechtfertigen müssen. So verkommt das Recht auf Leben zwangsläufig zur Kostendebatte.
Regierung muss Schadensbegrenzung betreiben und Missbrauch unterbinden!
Zahlreiche Organisationen wie etwa der Österreichische Behindertenrat hatten sich aus diesen Gründen klar gegen eine Liberalisierung ausgesprochen. In den Benelux-Staaten etwa haben Gesetzesnovellierungen zu einem deutlichen Anstieg der Nachfrage nach Sterbehilfe geführt. Der Schweizer Verein Dignitas, der die Verfassungsklage miteingebracht hat, stellt diese Tatsachen übrigens in Abrede. Das verwundert mich nicht, immerhin verdient Dignitas am assistierten Suizid.
Ich bin sehr froh über das Bekenntnis der Bundesregierung, die notwendigen gesetzlichen Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch der straffreien Beihilfe zum Selbstmord zu prüfen. Ich fordere die Verantwortlichen auf, alle nur erdenklichen Möglichkeiten auszuschöpfen und werde mich selbst dafür eisnetzen. Das Leben ist unser höchstes Gut und genießt aus gutem Grund verfassungsrechtlich höchsten Schutz. Die Bundesregierung muss hier Schadensbegrenzung betreiben und jede Form von Missbrauch konsequent unterbinden!