Ingrid Korosec
Präsidentin des Österr. Seniorenbundes
Abgeordnete zum Wr. Landtag
Volksanwältin a.D.
Bildungshunger ist kein Dick- sondern ein Fit-Macher
Beim Tag der Arbeit geht es nicht nur darum, sich der sozialen Rechte zu erinnern, die die Arbeitnehmerschaft allein im letzten Jahrhundert errungen hat. Und auch die Sozialpartnerschaft hat gerade in unserem Land viel zu Frieden und Wohlstand beigetragen. Mittlerweile geht es aber zudem darum, sich des Wandels der Arbeit und der Erfordernissen bewusst zu werden, die diese heute und in Zukunft beansprucht.
Meine Generation hatte zum Beispiel noch einen ganz anderen Zugang zur Bildung. Abgesehen davon, dass Frauen weit weniger Bildungsmöglichkeiten als Männern zugestanden wurden. So galten selbst vor Jahrzehnten noch die 3 K, nämlich Kinder-Kirche-Küche, als gängige Kurzformel für die soziale Rolle der Frau. Heute, im 21. Jahrhundert, bestimmen die 3 L, nämlich Lebens Langes Lernen, den gesellschaftlichen Status von der Jugend bis ins Alter und das gleich welchen Geschlechts.
Meine Generation ist noch davon ausgegangen, dass Schule, Lehre und allenfalls Universität die Basis für jenen Beruf bilden, den man bis zu seiner Pensionierung ausübt. Es gab Zeiten, da wurden etwa die Absolventen einer Handelsschule bereits vor Schulabschluss sprichwörtlich abengagiert. Heute erleben wir, dass junge Akademiker oft monatelang keinen Job finden und dann in einen Beruf einsteigen müssen, der wenig mit ihrer ursprünglichen Ausbildung gemein hat.
Wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Jene Bildungsbasis, die wir während der Schul- und Studienzeit erwerben, reicht keinesfalls mehr für das Leben aus. Allein die Entwicklung in Staat und Gesellschaft, der Fortschritt, erfordert ein permanentes Lernen. Nachjustieren und Neuerwerben. Dazu kommen immer häufiger werdende Berufswechsel, die es erforderlich machen, sich für das neue Aufgabengebiet auch neue Kenntnisse zu erwerben.
Es hat übrigens eine Zeit lang gedauert, bis dieses Bildungsdenken eine breite Resonanz in der Bevölkerung gefunden hat. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der Statistik Austria. Immer mehr Österreicher bilden sich als Erwachsene weiter: Bereits sechs von zehn haben demnach in den letzten zwölf Monaten an einer Aus- oder Weiterbildung teilgenommen. Vor zehn Jahren waren es nur 42 Prozent.
Allerdings es sind noch immer vor allem Jüngere, Erwerbstätige und Menschen mit höherem Bildungsgrad, die sich weiterbilden, bei den 25- bis 34-Jährigen sind es fast 70 Prozent – Männer deutlich öfter als Frauen –, bei den 55- bis 64-Jährigen tut das nur noch jeder Vierte.
Wir sehen allerdings auch, dass bei der älteren Generation der Wissensdrang steigt. Und das ist auch notwendig. Nicht nur, weil allein der Eintritt ins digitale Zeitalter es erforderlich macht, sich auf neue Entwicklungen einzustellen, ja einstellen zu müssen, um nicht am Wegrand der Entwicklung stehen gelassen zu werden, ins Abseits, ins Ausgedinge zu geraten.
Mit dem Eintritt in die Pension endet ein Lebensabschnitt – und es beginnt ein neuer. Mit neuen Herausforderungen, mit neuen Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Man bedenke allein, dass heute 20 Prozent der Bevölkerung, die schon längst den so genannten Ruhestand genießen könnten, noch immer erwerbstätig sind. Und diese Zahl ist im Steigen begriffen.
Aber auch jene, die nicht mehr beruflich engagiert sind, sind gefragt. Bei den Kindern, im Freundeskreis, in den Clubs, die zu ihrer Freizeitgestaltung gehören. Mit ihrer Erfahrung, mit ihrem Wissen. Das aber nicht verstaubt sein darf, sondern immer wieder aufpoliert wird.
Vor allem aber sollte man eines nicht vergessen. Wissenschaftliche Studien belegen serienweise, dass es wichtig für die Gesundheit, für die Lebenskraft, für die Mobilität ist, gerade wenn man älter wird, sich nicht abzuschotten sondern sich am Laufenden zu halten und weiterzubilden
Salopp formuliert: Bildungshunger ist kein Dick- sondern ein Fitmacher.
Im Programm der neuen Regierung gibt es übrigens eine Reihe von Vorhaben, mit denen bewusst und gezielt die 3 L gefördert werden. Angebote, die man im eigenen Interesse unbedingt nützen sollte. Ein vor 200 Jahren geborener Schweizer Kulturhistoriker hat einen wunderbaren Satz geprägt: „Das neueste in der Welt ist das Verlangen nach Bildung als Menschenrecht, was ein Begehren nach Wohlleben ist.“