Ingrid Korosec
Präsidentin des Österr. Seniorenbundes
Abgeordnete zum Wr. Landtag
Volksanwältin a.D.
2030 – also in etwas mehr als 10 Jahren – brauchen wir in Österreich 24.000 zusätzliche Pflegekräfte. Zu diesem alarmierendem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. 2050 soll der zusätzliche Mehrbedarf an Pflegefachkräften sogar auf 80.000 Stellen ansteigen. Angesichts des Ist-Stands von 63.000 Pflegekräften in Österreich müssten wir die Fachkräfte in den kommenden dreißig Jahren also mehr als verdoppeln.
Die Wifo-Studie ist nur die letzte in einer Reihe von Untersuchungen, die auf den akuten Pflegekräftemangel der kommenden Jahre aufmerksam macht. Aber nicht nur die zu betreuenden Menschen, auch Angehörige werden immer älter und können sich weniger selbst um Verwandte kümmern. Die Betreuung durch Fachkräfte in mobilen oder stationären Diensten bis hin zur 24-Stunden-Betreuung wird so mehr und mehr unumgänglich.
Attraktivere Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung für Pflegekräfte
Es ist längst überfällig, den Berufszweig Pflege und Betreuung attraktiver zu machen. Menschen, die diese anspruchsvollen und belastenden Tätigkeiten aufopfernd ausüben, verdienen unsere Wertschätzung und Achtung. Das sollte sich nicht nur in einer angemessenen Entlohnung für Pflegekräfte widerspiegeln. Auch eine Verbesserung der schwierigen Arbeitsbedingungen ist ein weiterer Schritt zur Würdigung des Berufszweiges. Die Zahl prekärer Dienstverhältnisse bei Pflege und Betreuung muss unbedingt gesenkt werden, damit Fachkräften ein Auskommen mit dem Einkommen und Vertragssicherheit für ihre Beschäftigung garantiert wird.
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass die Arbeit als Pflege- und Betreuungskraft nicht nur körperlich, sondern auch seelisch sehr anstrengend ist. Wie bei allen Sozialberufen fällt dies viel stärker ins Gewicht als bei anderen Berufszweigen. Es bedarf mehr psychosozialer Betreuung, um Fachkräfte zu begleiten und dabei zu unterstützen, mit den spezifischen Belastungen ihrer Arbeit zurechtzukommen. Das verbessert die Gesundheit der Pflegekräfte und wirkt einem frühzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf entgegen.
Drei- statt zweistufige Fachausbildung
Auch wenn es darum geht, mit einer zeitgemäßen Pflegeausbildung und breiten Weiterbildungsmöglichkeiten für genügend zukünftige Fachkräfte zu sorgen, ist schnelles Handeln gefragt! Die jüngste Reform im Jahr 2016 hat aus dem zweistufigen System eine dreistufige Ausbildung für Pflegeberufe in Österreich gemacht.
Während die einjährige Ausbildung zur Pflegeassistenz dem bisherigen Beruf der Pflegehilfe entspricht, werden die Kompetenzen der Fachkräfte in den zwei- bzw. dreijährigen Ausbildungen der Pflegefachassistenz und des Bachelorstudiums „Gesundheit und Krankenpflege im gehobenen Dienst“ sukzessive ausgebaut. Letzterer Studiengang ersetzt ab 2024 die bisherige Diplomausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und macht aus den Absolventinnen und Absolventen eigenverantwortliche Pflegekräfte, die auch Notfall-, Diagnostik- und Therapiekompetenzen haben und Medikamente und Behelfe weiterverordnen dürfen.
Jugend muss Pflegeausbildungen rechtzeitig beginnen können
Die beste Pflegeausbildung ist jedoch vergebens, wenn sie für die Jugend nicht richtig zugänglich ist. Die meisten Ausbildungsmöglichkeiten können aktuell erst ab dem 17. Lebensjahr begonnen werden. Junge Menschen müssen sich in der Regel aber bereits nach der vierten Klasse einer Hauptschule oder eines Gymnasiums zwischen Allgemein- oder Fachausbildung entscheiden und so die Weichen für ihr zukünftiges Berufsleben stellen. Interessierte Jugendliche, die gerne im Pflegebereich arbeiten würden, können an diesem Punkt in ihrem Leben keine dementsprechende Lehrausbildung antreten. Wenn wir hier nichts ändern, verlieren wir motivierte und dringend benötigte Pflegekräfte an andere Fachausbildungen.
Daher brauchen wir unbedingt Pflegeausbildungen, die auf die Jugend zugeschnitten sind und vor allem rechtzeitig, nach Ende der allgemeinen Schulpflicht, begonnen werden können. Das Konzept einer Pflegelehre wird bereits in Vorarlberg und seit Herbst 2018 auch in Oberösterreich getestet. Jugendliche können so bereits mit 15 oder 16 Jahren ins Pflegewesen einsteigen, die Ausbildung dauert statt wie bisher zwei Jahre vier beziehungsweise drei Jahre.
Die ersten ein bis zwei Lehrjahre sollten sich der Theorie widmen. So wird sichergestellt, dass Jugendliche ein genaues Bild des Pflegeberufs haben, bevor sie mit Patientinnen und Patienten in Kontakt treten. Außerdem würde dies die EU-weite Richtlinie erfüllen, nach der die Arbeit im Gesundheitsbereich mit Menschen erst ab dem 17. Lebensjahr vorgesehen ist. Vorbild ist die Ausbildung zum Fachmann oder zur Fachfrau Gesundheit, die 2003 in der Schweiz eingeführt wurde. Die Lehre deckt eine Vielzahl an Bereichen wie Pflege, Ernährung und Administration ab und bietet den Ausgangspunkt für weitere Fachbildungen. Das System hat sich im Nachbarland bewährt, auch immer mehr Männer absolvieren die Ausbildung.
Weitere vielversprechende Pilotprojekte gibt es an landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen in Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und Tirol. Dort kann während des dreijährigen Schulbesuchs eine Pflegeausbildung mit dem Abschluss als Heimhelferin oder Heimhelfer gemacht werden. Zusätzlich wird ein viertes Ausbildungsjahr geschaffen, um als Fach-Sozialbetreuerin oder Betreuer mit Schwerpunkt Altenarbeit abschließen zu können. Diese Projekte sind erste Schritte in die richtige Richtung. Es muss aber noch viel mehr getan werden, um Pflege und Betreuung attraktiver zu machen. Nur so können wir garantieren, dass uns in den kommenden Jahrzehnten nicht die Pflegekräfte ausgehen.